„…wenn viele Gärtner kleine Pflänzchen großziehen, statt sich als Jäger ausschließlich von der Renditementalität treiben zu lassen.“ Mit diesem Satz beschreibt Lothar Lochmaier in seinem Buch „Die Bank sind wir – Chancen und Perspektiven von Social Banking“ den Geno Gedanken 2.0.
Eine weitere Kernfrage, die man aus dem Buch herausfiltern kann, ist: Schaffen sich Kunden durch Nutzung von neuen Angeboten selbst ihre Alternativen zur Bank?
Mehreren Studien zufolge scheinen in der Bankenbranche nach wie vor noch manche Banken nicht genug Wert auf eine ausführliche und auf den Kunden ausgelegte Beratung zu legen. Die daraus resultierende Intransparenz und fehlende Selbstbestimmung führe demnach dazu, dass die Kunden sich im Internet nach anderen Möglichkeiten umsehen, zum Beispiel bei Branchenfremden (sprich Nichtbanken) mit dem Ziel die Kontrolle über sein Geld wieder zu gewinnen. Die gut verständliche und teilweise bildlich geschriebene Expertise ist ein gelungener Selbstversuch, sich in der recht schwer greifbaren Welt des Social Lending und Co. zurechtzufinden, und zugleich informativ und kundenfreundlich an die Leser weiterzugeben.
Der Autor stellt eine klare Verbindung zwischen der geschichtlichen Herkunft und des durch das Internet redefinierten Begriff der „sozialen“ Geldanlage her, der den genossenschaftlichen Gedanken im Web 2.0 widerspiegelt. Zudem beleuchtet Lothar Lochmaier zahlreiche Online-Kreditauktionen. Er zeigt Portale auf, die sich auf Social Lending und Peer-to-Peer-Lending spezialisiert haben, wie zum Beispiel Smava, Zopa und Co. Ich persönlich empfinde diese Portale und vor allem die Idee als sehr interessant, jedoch ebenfalls als sehr risikoreich und rechtlich ziemlich verwirrend.
Einfacher hingegen und gleichzeitlich sehr effektiv sehe ich so genante FSN’s (Financial Social Networks). Ich teile die Auffassung des Autors, dass gerade diese Portale in naher Zukunft eine bedeutende Rolle bei den Anlegern spielen werden, die gemeinsam über das Internet neue Möglichkeiten ausloten wollen, um ihr Vermögen auf unterschiedliche Weise zu steuern, zu verwalten, anzulegen und zu vermehren. Lochmaier gliedert die FSN’s – im Fachjargon als Privat-Online-Finance-Management bzw. P2P-Brokerage bezeichnet – in mehrere Gruppen auf und erläutert diese praxisnah und leicht verständlich.
Mit diesem Buch liefert Lothar Lochmaier eine interessante Ansicht über die momentanen Möglichkeiten von Mittelbeschaffung und Anlagen(beratung) im Netz. Aus meiner Sicht geht er mit den Banken teilweise recht hart ins Urteil und steht ihren innovativen Ansätzen recht skeptisch gegenüber. Dennoch wird ein sehr guter Überblick über die Geschehnisse in diesem Bereich verliehen. Es bleibt weiterhin spannend, ob und welche Veränderungen sie im konventionellen Bankengeschäft mit sich bringen.
Vielen Dank Herr Lochmeier, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben.
Herr Lochmeier, es ist mittlerweile etwas mehr als ein Jahr vergangen, seit Sie Ihr Buch Buch „Die Bank sind wir – Chancen und Perspektiven von Social Banking“ veröffentlicht haben. In Ihrem Buch hinterfragen Sie die Banken recht kritisch. Hat sich Ihrer Meinung nach in dem Jahr seit der Veröffentlichung Ihres Buches etwas geändert? Nutzen die Banken beispielsweise die Chancen, die ihnen das Internet bietet besser?
Dass ich mit den Banken recht hart ins Gericht gehe und auch ihre Innovationsfreudigkeit skeptisch beurteile, ist ja keine bloße Phantasie. Die strukturellen Defizite in der provisionslastigen Bankberatung sind von Verbraucherschützern und Wissenschaftlern seit Jahren anerkannt. Da gibt es nichts zu beschönigen, schon gar nicht mit der Schutzbehauptung, es handle sich um Einzelfälle. Auch meine eigenen Testberatungen, denen ich mich im Zuge der Recherchen ausgesetzt habe, haben diesen Eindruck klar bestätigt.
Geändert hat sich übrigens so gut wie nichts. Die Banken arbeiten primär weiterhin in ihre eigene Tasche, während diejenige des Kunden nicht selten immer weiter ausbeult. Dann kommt gebetsmühlenartig der Standardsatz: Wir haben Sie ja auf die Risiken hingewiesen! Jeder Handwerker oder Mittelständler würde oder wäre mit dieser Philosophie spätenstens direkt nach der Finanzkrise in die Insolvenz gegangen. Nicht so die Banken, die ihr Überleben einzig der Gemeinschaft und den Staatsgarantien verdanken. Man kann den Trend aber jenseits von Bankenbashing und Schwarz-Weiß-Malerei – beides übrigens nicht das Ziel meines Buches – auch positiv sehen. Immer mehr Kunden sind hellhöriger geworden, vor allem jene, die über mehr Kapital und Verstand verfügen, und die sich jetzt mehr denn je überlegen, wie sie es produktiv anlegen können. Diese pragmatischen Performer haben eine enorme Macht, die Banken dorthin zu bewegen, wo sie hingehören, an den Herzschlag der Realökonomie, einschließlich der Bewältigung eines sozialen und ökologischen Paradigmenwandels jenseits von reinen Gewinnmaximierungsstrategien. Für die Genossenschaftsbanken böte dieser soziale Wandel übrigens enorme Chancen, den sie allerdings meines Erachtens bislang kaum wahr genommen haben. Hier braucht es allerdings unternehmerischen Mut und Weitsicht, neuen Entwicklungen nicht nur hinter her zu schauen, sondern diese zu antizipieren. Aber hier ist das Management etwas eingeschläfert, weil nach der Finanzkrise die Sparkassen und Genossenschaftsbanken von vielen als sicherer Anlegerhafen wahr genommen worden sind. Dieser schöne Schein kann allerdings sehr trügerisch sein.
Und hier kommt, um auf Ihre Ausgangsfrage zurück zu kommen, natürlich das Internet ins Spiel. Es bietet zwar keine allein selig machende Lösung für alle Probleme in dieser Welt, gleichwohl ist es ein dynamisches Instrument, insbesondere für die Kundenbeteiligung. In drei bis fünf Jahren, so würde ich vorsichtig prognostizieren, werden auch hierzulande die ersten Banken konstitutive Elemente von Crowdsourcing, Social Lending, Social Sponsoring und Crowdfunding in ihr Portfolio integriert haben. Eine deutsche Sparkasse hat über ihre Webseite bereits ihre Kunden um Unterstützung für ein konkretes Projekt aufgerufen. Derartiges wird also bald schon integraler Bestandteil einer neuen webbasierten Kundenphilosophie sein, was nicht bedeutet, die Kontrolle komplett abzugeben, oder die Bank dem Chaos preiszugeben, sondern einen strukturierten und professionell moderierten Prozess einzuleiten, den Kunden in die sinnvollen Geldallokation einzubinden. Übrigens schließt dieser Prozess die Geschäftskunden und Unternehmen keineswegs aus.
In Ihrem Buch sprechen Sie häufiger die Intransparenz der Banken an und die daraus resultierende Konsequenz, dass sich Kunden zu Non- und Nearbanks orientieren. Was für Möglichkeiten bietet Social Media, um genau dieses zu verhindern?Wo sehen Sie Grenzen? Wo liegen Ihrer Meinung nach Chancen und Risiken im Internet?
Verhindern kann man durch Social Media gar nichts. Auch ist es keine Allzweckwaffe oder neue finanzielle Melkkuh. Kurzum: Sind die Produkte einer Bank nicht „kundenzentriert“, sprich zu dessen Vorteil strukturiert, dann dienen soziale Medien sogar eher als Feigenblatt denn als Problemlöser. Für mich selbst ist Transparenz ohnehin nicht der Schlüsselbegriff im Web 2.0-Universum. Transparenz ist sogar ein ziemlich abgedroschener Begriff, je öfter Banken ihn benutzen, umso weniger Substanz kann sich möglicherweise sogar dahinter verbergen. Wie oben bereits schon erläutert, geht es um echte Partizipation, um produktive Einbettung der Kunden in das Kerngeschäft, wozu Social Media das einzig denkbare Bindeglied darstellt. Natürlich werden nicht wenige Kunden vor allem im oberen Segment künftig ihr Geld zu anderen Dienstleistern outsourcen, wenn die Banken sich dem aktiven Dialog nicht öffnen. Und hier sind IT-Dienstleister, die diesen Prozess verlässlich moderieren eine gewisse Bedrohung für die Banken. Aber die Bürger können auch direkt eigene Projekte starten. Man wird sehen, ob hier mehr als Nischenmärkte entstehen. Fakt ist aber: Das Bild des Bankers hinter der edlen aber undurchsichtigen Glasfassade hat endgültig ausgedient. Banker zum Anfassen könnten das Vertrauen wieder zurück gewinnen, aber dazu reicht es nicht aus, nur darauf zu hoffen, dass die Kunden mangels anderer seriöser Alternativen ihnen auf ewig und immer die Treue schwören.
Ein Kapitel in Ihrem Buch handelt davon, wie finanzielle Netzwerke die Geldanlage optimieren. Auch das Stichwort „kollektive (Anleger)Intelligenz“ fällt in diesem Zusammenhang. Für wie wichtig halten Sie die kollektive Intelligenz bezüglich des Themas Geldanlage und in Hinblick auf den Begriff Croudsourcing? Welches Potenzial sehen Sie für genossenschaftliche Banken darin?
Grundsätzlich ist der Begriff kollektive Anlegerintelligenz auf den Finanzmärkten ein zweischneidiges Schwert. Der Herdentrieb ist ja gerade auf den Aktienmärkten nicht erfolgreich. Dort wird Nachahmung nicht belohnt sondern bestraft. Man muss also gerade dort nicht nur spekulativ sondern auch unternehmerisch denken und handeln, um unterbewertete Potenziale rechtzeitig zu erkennen. Man muss demzufolge – auch mit neuen Geschäftsmodellen beim Financial Crowdsourcing – gegen den Strom schwimmen, um erfolgreich zu sein, eine große konzeptionelle Herausforderung für neue Plattformen und Konzepte. Aber auch hier wird der Erfahrungsschatz größer und die Modelle professioneller.
Was die Genossenschaften und Genossenschaftsbanken angeht, so gibt es viele neue Chancen, deutlich mehr als die inhärenten Risiken, sich durch Abgabe von von command-and-control Mechanismen einen Supergau in der Compliance einzufangen. Man könnte etwa gemeinsam mit den Kunden diverse Projekte iniziieren, die Filiale könnte so eine vollkommen neue „soziale“ (nicht im engen Sinne, sondern als verbindendes Element) und kulturelle Funktion erhalten. Voraussetzung hierfür ist, dass die jetzige Führungsgeneration den Weg frei macht für die nächste Generation von Managern, die den Kontakt zur Außenwelt auf Augenhöhe der Zeit gestalten möchten. Ich halte die Umsetzung und Einbettung von Elementen rund um Crowdsourcing und Crowdfunding trotz gewisser Unwägbarkeiten für gar nicht so schwierig, als es rein akademisch geprägte Diskussionen vermuten lassen. Gute Ideen finden immer ihren Weg, auch wenn es manchmal dauert, bis diese zum schlüssigen Gesamtkonzept heran reifen.
Oft fällt im Zusammenhang mit dem Thema Social Banking der Begriff Nachhaltigkeit. Jährlich steigt die Anzahl der Verbraucher, für die die Berücksichtigung von ethischen und sozialen Bankgeschäften eine wichtige Rolle spielt. Welcher Zusammenhang besteht Ihrer Meinung nach zwischen Nachhaltigkeit und Social Banking und wie beurteilen Sie die Entwicklung dieses Kundensegments?
Ich habe in meinem Buch insbesondere in der historischen Hinführung aufgezeigt, dass wir es mit zwei an sich auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Bedeutungslinien zu tun haben. Beim Social Banking 1.0 handelt es sich um Modelle, die die Verwendung von Geld sehr eng und direkt an soziale und ökologische Kriterien bzw. Zwecke binden. Bei der Variante 2.0 geht es hingegen um das verbindende kommunikative Element via Web 2.0. Beide Varianten werden nun unter dem Oberbegriff Social Banking subsummiert. Und beide Varianten wachsen kräftig, allerdings immer noch in der Marktnische.
Es bestehen hier zwischen 1.0 und 2.0 sowohl Trennlinien als auch Gemeinsamkeiten. Als zentrale Schnittstelle für die Zukunft sehe ich den anhaltenden Paradigmenwandel in der gesamten Gesellschaft. Der Begriff „Restrisiko“ hat spätestens durch die Finanzkrise oder die Katastrophen im Golf von Mexiko oder in Japan eine vollkommen neue Dimension erhalten. Warum sollte hier nicht über produktiv gelenkte Geldströme im Internet eine Synergie zwischen zwei scheinbar so getrennten Welten entstehen? Am Ende habe ich dafür den Begriff Common Banking geprägt, der freilich nur ein erstes Ideengebilde ist, es gibt hier keine fertige Blaupause, auch der Begriff Social Banking 2.0 als synergetische Zusammenführung zwischen den historisch unterschiedlichen Varianten wäre etwas gewagt.
Und zum Abschluss noch eine Frage: Wie sehen Sie das Potenzial von Social Media in Bezug auf die Möglichkeit eine Unternehmenskultur zu verändern bzw. weiterzuentwickeln?
Es ist schon ein radikaler Schnitt notwendig, darum sollte man nicht herum reden. Denn letztlich besteht jede soziale und auch unternehmerische Formation aus mehr oder minder ausgeprägten Hierarchien. Insbesondere das mittlere Management sichert sich oftmals ängstlich ab. Wer etwas zu verlieren hat, der unterdrückt Neues lieber als sich zu öffnen. Auch in den vermeintlich so liberalen und aufgeklärten Demokratien wird dies gelegentlich übersehen. Es gibt noch dazu, so jedenfalls meine Theorie, drei quasi suprahegemoniale Gebilde oberhalb der Gesellschaft, die dieser gegenüber seit geraumer Zeit gar nicht direkt „rechenschaftspflichtig“ sind. Das sind neben den Banken die Energiewirtschaft und die Pharmaindustrie.
Dieses so diskret hinter den Kulissen agierende Triumvirat braucht sich nämlich nicht durch Kundenorientierung zu legitimieren oder permanent zu beweisen, es existiert quasi per staatlich sanktioniertem Dekret ganz von oben herab. Gelänge es, diese drei Festungen bzw. wirtschaftlichen Schlüsselsektoren zu demokratisieren und mit Hilfe von Social Media produktiv zu restrukturieren, dann würde auch die Bewältigung von wichtigen Zukunftsaufgaben mit größerer Dynamik angegangen. Der Wandlungsprozess dahin wird allerdings nicht schmerzfrei erfolgen, das zeigen die aktuellen Geschehnisse in den arabischen Staaten. Und nicht nur die Banken und andere Wirtschaftsakteure haben viel dazu zu lernen. Auch die Kunden müssen sich ihrer Verantwortung intensiver stellen und mehr Zeit mit dem Thema Geld verbringen als mit dem nächsten Urlaubsschnäppchen oder einem neuen Flachbildfernseher. Die künftigen Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft sind aber deutlich mehr vernetzt und dezentral aufgestellt, insofern braucht man kein großer Wirtschaftstheoretiker zu sein, um diese Entwicklung als Schlüsselkriterium für neue und deutlich kooperative Wirtschaftsmodelle zu identifizieren, in denen das Ganze mehr darstellt als die Summe seiner Teile.